Welpenerziehung nach Lehrbuch? Ein Kommentar inklusive Buchrezension 19. Juni 2019 Allgemein Erziehung Leben mit Hund Ratgeber

Ab Ende März ’19 ging mein Pulsschlag regelmäßig immer wieder in die Höhe, wenn ich daran dachte, dass wir uns am 13.04.2019 auf den Weg nach Oberfranken, genauer gesagt in die Region um Hof aufmachen würden, um unseren kleinen neuen Mitbewohner, einen Dalmatinerwelpen, abzuholen.

Grundsätzlich fühlte ich mich ganz ordentlich vorbereitet, hatte doch meine Partnerin bereits 11 Jahre Hundeerfahrung aufzuweisen; ich selbst davon fünf an ihrer Seite. Außerdem waren wir ja bereits fleißig am Bücher lesen und Pläne schmieden.

Über eines der Bücher, nämlich den “Grundschulplan für Welpen” vom Kyonos Verlag, möchte ich im Folgenden ein paar mehr Worte verlieren und gleichzeitig einen Rückblick auf unseren nun deutlich gewachsenen Erfahrungsschatz zur Welpenerziehung geben.

Ein Welpe als 24h-Projekt

Ich arbeite seit vielen Jahren in der Marketing- und Kommunikationsbranche und betreue Projekte in verschiedenen Größenordnungen. Mit der Größenordnung des „Projekts Welpe“ hatte ich aber nicht gerechnet… 🙂

Ich bin aber auch hier erstmal so vorgegangen, als wäre das ganze Vorhaben ein Projekt und Projekte aufsetzen, das kann ich ja im Schlaf. Als inhaltliche Hilfestellung sollte uns das Buch “Auf ins Leben. Grundschulplan für Welpen” dienen.

Beim ersten Durchblättern des Buches freute ich mich sofort, denn das Buch ist wie ein ordentliches Projekt aufgebaut. Zu Beginn findet man ein sauber ausgearbeitetes Briefing und den Theorieteil bzw., wie von der Autorin betitelt, “Wichtige Grundlagen”. Hier stehen Tipps und Ratschläge rund um Themen wie z.B.:

  • Auswahl der Züchter
  • Grundausstattung für Welpen
  • Impfungen und Arztbesuche
  • Schlafplätze
  • Welpenschule
  • Erziehung und Spaziergänge

Im Anschluss daran geht es durchgeplant von Tag zu Tag mit Anleitungen, Szenarien, Methoden und immer wieder neuem Input durch die ersten acht Wochen nach der Abgabe durch den Züchter.

Wir fühlten uns in jedem Falle gut aufgehoben und ordentlich vorbereitet, um in unser Projekt “Welpendame Mila” zu starten.

Der Hauptteil des Buches: Grundschule und Übungen

Der Übungsteil des Buches startet direkt mit dem Tag der Ankunft des kleinen Welpen in der neuen Familie. Übungen, wie der Welpe seinen Namen lernt oder wie man ihn an ein Halsband gewöhnt, stehen hier an erster Stelle. Jede der Schulwochen ist visuell mit einer Art Stundenplan aufbereitet. Das sieht süß aus, ist allerdings inhaltlich nur als Überblick und als Einleitung nützlich, um darauf vorbereitet zu sein, was in den diversen Schulwochen so alles auf den Welpen und die Welpeneltern zukommt.

Der visualisierte Stundenplan der ersten Schulwoche.

Die Wochen sind alle nach einem ähnlichen Schema aufgebaut, einer gelungenen Mixtur aus theoretischem Input sowie praktischen Übungen. Die Übungen sind gut erklärt, sodass man sie selbst relativ einfach versteht und nachmachen kann. Was mich persönlich positiv überzeugt hat, ist der Grundansatz ohne “Gewalt” oder Bestrafung im Hundetraining vorzugehen, sondern den Fokus auf Belohnung und Ablenkung zu legen, die dem Hund anstelle des nicht erwünschten Verhaltens angeboten werden.

Ebenso fand ich es persönlich erheiternd und aufschlussreich zugleich, dass in der durch das gesamte Buch mitlaufenden Kategorie “Achtung alter Hut” mit Vorurteilen, Weisheiten und alten Glaubenssätzen aufgeräumt wird, die sich über Jahre hinweg im Hundetraining und bei den Haltern etabliert hatten. Es werden hier beispielsweise logische und gut erläuterte Information zu den Bereichen “Dominanzverhalten”, “Zerrspiele” oder auch “Welpenschutz” gegeben, die mich als eher unerfahrenen Hundebesitzer überrascht haben.

Im Folgenden möchte ich einen inhaltlichen Überblick über die einzelnen Kapitel geben, bevor ich dann zu einem Fazit und auch meiner persönlichen Meinung komme. Dieser Abschnitt soll euch einen groben Eindruck über das Buch geben. Ich werde nicht alle inhaltlichen Punkte aufführen und beschreiben, dafür ist ja dann das gesamte Buch da. 🙂

Woche 1

In der ersten Woche werden die Grundlagen behandelt. Hierzu zählt, wie der Hund seinen Namen erlernt, die ersten Übungseinheiten “Sitz” und “Hier” werden und das große Thema Stubenreinheit. Auch die Beißhemmung spielt eine große Rolle und ist nach unserer Erfahrung eines der wichtigsten, schwierigsten und durchaus auch blutigsten Themen der ersten Welpenwochen. Abschließend wird in Woche eins die ersten Ausflüge in den Kindergarten und in die Stadt empfohlen.

Woche 2

Die zweite Woche beginnt mit ein wenig Theorie bzgl. Ressourcenkontrolle und Bestrafung, bevor es dann zum Übungsaufbau “Platz” kommt. Auch das Thema Leinenführigkeit wird zum ersten Mal angesprochen. Ebenfalls stehen einige Ausflüge, z.B. auf einen Marktplatz, auf dem Programm.

Woche 3

Die Autorin empfiehlt in Woche 3 eine Art “Testbesuch” beim Tierarzt. Dies finde ich persönlich sehr sinnvoll, auch wenn bei uns der erste Besuch kein Test war, sondern Mila direkt eine Bindehautentzündung hatte. Dennoch sind frühzeitige Besuche beim Tierarzt absolut empfehlenswert, um dem Hund den Respekt vor der immer wiederkehrenden Situation zu nehmen. Weitere Themen der Woche 3 sind ein Abenteuerspaziergang im Wald und den Hund alleine lassen.

Unsere Mila mit 9 Wochen - kurz vor der ersten Bindehautentzündung 🙂

Woche 4

Ein hochinteressantes Theorie-Thema in Woche 4 ist der Beitrag “Wie lernt ein Hund eigentlich”, der uns einige unverständliche Situation, die wir mit unserer kleinen Mila erlebt hatten, veranschaulicht hat. Ebenso stehen wieder Ausflüge, z.B. in den Zoo oder in die Stadt auf dem Programm.

Woche 5

In der fünften Woche geht es zum Bahnhof, ins Restaurant und auf den Bauernhof. Außerdem wird der Übungsaufbau “Aus” eingeführt. Für Hunde, die zu Beginn gefühlt alles in ihren Fang nehmen, ist diese Übung unglaublich wichtig, auch weil leider die Giftköderthematik, zumindest hier in Baden-Württemberg, immer häufiger beachtet werden muss.

Woche 6

Neben Ausflügen ins Altersheim und der ersten Bahnfahrt steht ein Übungsprogramm “Begegnungen mit Joggern” auf dem Plan. Auch mit Kindern auf Skateboards oder Inline-Skates soll der oder die Kleine konfrontiert werden.

Woche 7 

Nun soll es zu Hundekontakten beim Spaziergang kommen, jedoch erstmal an der Leine. Als sehr wertvoll für uns stellte sich der Theorie-Input zum Thema “Stress und Körpersprache” heraus. Hier wird sehr gut beschriebe,n wie ein Hund reagiert und welche körperlichen Zeichen er uns gibt, damit wir angemessen auf ihn reagieren können.

Woche 8

Die Woche 8 startet u.a. mit der “Bleib”-Übung, räumt mit Mythen zum Thema Brustgeschirr auf und appelliert an alle Leserinnen und Leser, dass man es beim Hundetraining im Allgemeinen mit Konsequenz und Disziplin zu tun hat. Und diese beiden Merkmale gelten vor allem für das Herrchen/Frauchen und nicht nur für den Hund!

Nach Woche 8 ist das insgesamt sehr kurzweilige, nie langweilige Buch auch schon zu Ende. Wie im Verlauf des Beitrags angekündigt: es schlummern noch deutlich mehr Inhalte auf den einzelnen Seiten; dies war nur ein grober Überblick über die Themengebiete der jeweiligen Schulwochen.

Und nach 8 Wochen? Projekt zu Ende?!

Kommen wir aber nochmal zu dem Thema “Projekt Welpe”. Wir sind nun mit unserer Mila in der achten Woche angekommen (sie ist nun 16 Wochen alt) und ein Hauptmerkmal von Projekten ist ja, dass sie irgendwann zu Ende sind und die Beteiligte auch mal Pause haben. Das passiert bei einem Welpen definitiv nicht – man hat nie Pause und zu Ende ist das Projekt “Hundeerziehung” erst recht nicht. Für mich persönlich hat das Wort “Projekt” ab jetzt bei meiner Welpenerziehung auch nichts mehr verloren, denn mit einer “Risiko- und Stakeholderanalyse” kommt man sowieso nicht weit 😉

Unser Fazit: Tolle Inspiration trotz Umsetzungsschwierigkeiten

Das Buch suggerierte uns zu Beginn, dass die Hunderziehung eines Welpen durchgetaktet werden kann und man eine riesengroße To-Do-Liste vor sich hat. Doch bereits nach wenigen Tagen mit kaputten T-Shirts, einem ungeplanten Besuch beim Tierarzt, Pipi und auch größeren Geschäften auf unseren Teppichböden oder Spaziergängen, bei welchen uns Jogger und Fahrradfahrer überholten, die eigentlich erst in Woche 6 dran gewesen wären, haben wir sehr schnell festgestellt, dass wir unsere kleine Mila nicht entlang dieses Stundenplanes aufziehen können  –  auch weil es unsere persönlichen Lebensumstände einfach nicht zulassen.

Dies ist in meinen Augen auch die größte Herausforderung des Buches. Der Plan ist sehr stimmig aufgebaut, die Inhalte gut beschrieben und die Übungen für jeden verständlich erklärt. Die individuelle Familiensituation und dabei vor allem der Faktor Zeit spielen allerdings eine wahnsinnig große Rolle bei der Umsetzung. Daher glaube ich, dass der Plan nur dann realisierbar ist, wenn man die die ersten Wochen komplett frei hat und sich zu Beginn nur mit dem kleinen Welpen beschäftigen kann.

Inhaltlich legt das Buch unheimlich viel Wert darauf, dem Welpen zu Beginn die Angst vor der Welt zu nehmen, indem in den ersten Wochen viele Ausflüge zu verschiedensten Zielen, Menschen und Umgebungen anstehen. Ich persönlich glaube, dass diese Herangehensweise sehr sinnvoll für die kleinen Racker sein kann; wir selbst konnten diese Intensität allerdings nicht mitgehen. Da wir beide berufstätig sind und meine Partnerin nur die ersten drei Wochen nach der Abholung frei hatte, waren viele Übungen für uns aus Zeitgründen nicht realisierbar.

Am Ende ist jeder Hund höchst individuell, genau wie das “System”, in das er mit seinen knapp 8–9 Wochen kommt, eine Familie mit ganz individuellen Lebensumständen. Es geht ja nicht nur um den Hund, die Umgebung, in der er spazieren geht, und die Hundeschule, sondern das Eingliedern des Hundes als Familienmitglied. Hier spielen berufliche Situation, Wohnort, finanzielle Möglichkeiten, Freunde, Familiensituation und vieles mehr die übergeordnete Rolle  – und diese Gegebenheiten sind nun mal von Hund zu Hund und Halter/in zu Halter/in höchst individuell.

Mila (hier im Alter von 15 Wochen) ist regelmäßig bei uns im Büro.

„Auf ins Leben“  – ein wunderbarer Ratgeber zur Hundeerziehung

In meinen Augen ist das Buch gut dafür geeignet, um sich Inspirationen und Ratschläge zur Welpenerziehung zu holen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es ist aber auch nicht der Anspruch der Autorin, dieses Buch als Manifest und einzig richtige “Anleitung” beim Umgang mit einem Welpen zu sehen. Sie formuliert es auf der ersten Seite treffend mit den Worten “Nutzen Sie dieses Buch als Begleithilfe zur Welpenschule. Denn lesen und informieren ist das Eine, anschauen und nachmachen das Andere”.

Diesen Satz unterschreibe ich zu 100%. Auch die Erfahrungen, die wir in den ersten Wochen mit Mila gemacht haben, zeigen, dass nur reales Training, tägliches Üben, Austausch mit Hundehaltern und vor allem Hundetrainern den gewünschten Erfolg darstellen. Wer sich in Büchern und Theorien verkriecht, verpasst es, auf die Individualität des oben beschriebenen Familien-“Systems” einzugehen.

Wenn man dann von der Ambition, das Buch eins zu eins umsetzen zu wollen, Abstand nimmt und es vielmehr als Ratgeber bzw. Inspiration zur Welpenerziehung und Begleitlektüre zur Welpenschule sieht, kann ich das Buch jungen Hundeeltern insgesamt absolut empfehlen.

In einem Satz: “Auf ins Leben – Grundschulplan für Welpen” ist ein wunderbares Buch, um sich Inspirationen zur Erziehung zu holen, sollte aber eher als ein Fundus an Methoden und Anregungen betrachtet werden, als als Plan, den es unbedingt umzusetzen gilt.

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Benjamin Burkard
Über den Autor Benjamin Burkard

Benjamin Burkard ist stolzer Hundepapa von Dalmatinerdame Mila und behauptet steif und fest, dass diese genau 169 Punkte habe. :) Neben der Hundeerziehung von Mila ist er bei isle of dogs eher im Hintergrund tätig, vor allem als strategischer Kopf wenn es um das Thema Markenkommunikation und Storytelling geht.

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